Gezielte Förderung sozialer Innovation. Ein neuer Ansatz ist notwendig
In vielen Bereichen gewinnen soziale Innovationen an Bedeutung (vgl. lp. 21.3809 Fivaz Fabien), insbesondere bei den Anbietern von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen. In der Tat sind sehr grosse Veränderungen wie die Bevölkerungsentwicklung, die Migration, die steigende Lebenserwartung, die Digitalisierung oder die Langzeitarbeitslosigkeit gleichzeitig soziale Problembereiche, die in ständigem Wandel befinden. Sie stellen die Anbieter von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen vor grosse aktuelle und zukünftige Herausforderungen, insbesondere bei der Unterstützung einer wachsenden Anzahl vulnerabler Personen. Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts vulnerabler Personen und die Förderung einer umfassenden Teilhabe am gesellschaftlichen Leben spielen ebenfalls eine wichtige Rolle und erfordern die Entwicklung flexibler und zugänglicher Unterstützungsangebote.
Die für die Sozial- und Gesundheitspolitik zuständigen Behörden und die Anbieter von Dienstleistungen stehen vor einer enormen Herausforderung, in Zusammenarbeit mit den Betroffenen die derzeitigen Ansätze und Modelle in der Pflege, Betreuung, Beratung und Begleitung vulnerabler Personen und Gruppen angesichts einer wachsenden und sich ständig ändernden Nachfrage anzupassen. Es geht darum, umfassendere Lösungen zu finden, einen passenden Ansatz zu fördern und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.
Um die erwähnten gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern, sind soziale Innovationen ebenso notwendig wie technologische: So könnte zum Beispiel mit neuen Formen der Begleitung oder der Vernetzung von Sozialdienstleistern die Lebensqualität erhalten oder sogar verbessert werden, während die Kosten unter Kontrolle bleiben. Bei der Umsetzung sozialer Innovationen stützte man sich auf Ressourcen von öffentlichen und privaten Akteuren, meist von Stiftungen. Soziale Innovationen finden in der Regel in sozialen Ansätzen (Methoden, Programme, Angebote, Leistungen, Organisationsformen) Anwendung. In der Tat handelt es sich im Gegensatz zu technologischen Innovationen selten um Produkte. Daher ist es wichtig, sie gezielt zu fördern und aktiv zu verbreiten, damit sie überhaupt Fuss fassen und neue Vorteile bringen können. Als öffentliches Gut müssen soziale Innovationen jedoch für alle interessierten Personen, Organisationen und Institutionen zugänglich bleiben.
Vor diesem Hintergrund bitten wir den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten:
1. Teilt der Bundesrat die Analyse, dass wir soziale Innovationen brauchen, um jene Herausforderungen zu bewältigen, die mit der Finanzierung und der Qualität der Sozialleistungen und der medizinischen Grundversorgung verbunden sind?
2. In seiner Antwort auf die Interpellation 21.3809 Fivaz Fabien wies der Bundesrat darauf hin, dass die soziale Innovation «voraussichtlich» in der BFI-Botschaft 2025-2028 behandelt wird. Kann das der Bundesrat nun bestätigen? Und ist er bereit, dieser Problematik deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken, insbesondere, indem er den SNF und Innosuisse verstärkt unterstützt?
3. Andere Länder, zum Beispiel Deutschland, fördern soziale Innovation mit besonderen Programmen ausserhalb des üblichen Rahmens der Innovationsförderung. Ist der Bundesrat bereit, solche Programme als Ergänzung zum SNF und zu Innosuisse zu prüfen, falls deren Mandate nicht ausreichen, um soziale Innovationen angemessen zu fördern?
4. Soziale Innovationen erfordern geeignete Rahmenbedingungen. Wie kann nach Ansicht des Bundesrates die Innovationsfähigkeit von sozialen Einrichtungen und Dienstleistern der Grundversorgung bei Leistungsvereinbarungen mit der öffentlichen Hand oder der Tarifierung besser einkalkuliert werden?
1. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die soziale Innovation eine wichtige Rolle für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen wie beispielsweise der Alterung, der beruflichen und sozialen Integration oder der Digitalisierung spielen kann. Dieses Potenzial spiegelt sich in den verschiedenen Forschungsprojekten und -programmen wider, die vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF), von Innosuisse, den Hochschulen sowie im Rahmen der Ressortforschung unterstützt werden (z. B. Evaluationsprogramm der IV, Berichterstattung zur Altersvorsorge, Nationale Plattform gegen Armut des Bundesamtes für Sozialversicherungen). Auch die Akademien der Wissenschaften und die Technologiefolgenabschätzungen befassen sich regelmässig mit unterschiedlichen Aspekten der sozialen Innovation.
In den vom Bundesrat lancierten interdisziplinären Nationalen Forschungsprogrammen (NFP) sowie in der Innovationsförderung von Innosuisse ist die soziale Innovation bereits stark vertreten (z. B. im NFP 80 «Covid-19 in der Gesellschaft»).
Innosuisse fördert Innovation in allen Disziplinen der anwendungsorientierten Forschung und somit auch soziale Innovation. Sie hat denn auch den thematischen Bereich «Social Sciences & Business Management» etabliert, um Projekten im nicht-technologischen Bereich (nebst Engineering, Life Sciences, Energy & Environment, ICT) auch gegen aussen mehr Visibilität zu geben. Dieser Bereich umfasst unter anderem Projekte zu Sozialarbeit, Tourismus, Architektur, Design oder Gesundheit. Ein Beispiel ist das Projekt «inklusiv plus», das zum Ziel hat, die Unterstützung für psychisch kranke Jugendliche in der ganzen Schweiz und ihre Integration in die Arbeitswelt zu verbessern.
Darüber hinaus ist die Flagship-Initiative von Innosuisse ein geeignetes Instrument, um auch soziale Innovationen zu fördern. Die 2021 lancierte Initiative fördert systemische Innovation und transdisziplinäre Zusammenarbeit.
Sie zielt darauf ab, Lösungen für aktuelle und zukünftige wirtschaftliche und soziale Herausforderungen in der Schweiz zu finden.
Soziale Innovation kann zudem auch über BRIDGE gefördert werden, das gemeinsame Förderprogramm von SNF und Innosuisse, das Projekte zwischen Grundlagenforschung und Innovation abdeckt.
2. In den strategischen Mehrjahresprogrammen des SNF und von Innosuisse für die Jahre 2025-2028 wird die soziale Innovation als ein wichtiges Thema genannt. Auch in der BFI-Botschaft 2025-2028 sollte sie im Rahmen der Forschungs- und Innovationsförderung thematisiert werden.
3./4. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die bestehenden Prozesse und Instrumente des SNF und von Innosuisse genügend Flexibilität bieten, um die soziale Innovation in der Schweizer Forschung und Innovation angemessen zu fördern. Die Leistungsverträge im Bereich der Grundversorgung (z. B. mit Spitälern) fallen in die Zuständigkeit der Kantone. Zudem wird es ab dem 1. Januar 2023 möglich sein, neue Ideen im Bereich der Krankenversicherung zu testen. Eine neue Gesetzesbestimmung soll innovative Pilotprojekte ermöglichen, die über den Rahmen des KVG hinausgehen, um die Kosten in der OKP zu begrenzen, die Qualität des Gesundheitssystems zu stärken und die Digitalisierung zu fördern. Diese Projekte sind jedoch an die rechtlichen Vorgaben des Artikels 59b KVG gebunden und müssen darüber hinaus sicherstellen, dass keine neuen Leistungen übernommen werden und keine neuen Kategorien von Leistungserbringern zugelassen werden (vgl. auch Antwort 1). Der Bundesrat ist somit der Ansicht, dass die aktuellen Rahmenbedingungen die soziale Innovation begünstigen und keine zusätzlichen Massnahmen erforderlich sind.